
Verbände begrüßen EU-Pharma-Paket – wenn die Umsetzung praxistauglich ist
Das europäische Arzneimittelrecht steht vor einer weitreichenden Umgestaltung: Am Donnerstagmorgen wurden die Verhandlungen von Europäischer Kommission, Rat und dem Europäischen Parlament zu einem Abschluss gebracht. Zeil des EU-Pharma-Pakets ist es, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Versorgungssicherheit zu stärken. Die Verbände vfa und BPI sehen positive Signale und neue Möglichkeiten aber kritisieren auch komplexere Regeln und Unklarheiten über die rechtliche Umsetzung.
Das europäische Arzneimittelrecht steht vor der weitreichendsten Umgestaltung seit mehreren Jahrzehnten: Nach einer durchgängigen Nachsitzung wurden am Donnerstagmorgen die Verhandlungen von Europäischer Kommission, Rat und dem Europäischen Parlament zu einem Abschluss gebracht. Ziel des EU-Pharma-Pakets ist es, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Versorgungssicherheit zu stärken.
Der Unterlagenschutz von Pharmaunternehmen über Daten aus präklinischen und klinischen Untersuchungen bleibt unverändert bei acht Jahren, die zusätzliche Marktexklusivität, während der Generika oder Biosimilars nicht verkauft werden dürfen, wird jedoch auf ein Jahr verkürzt. Möglich ist die Verlängerung der Marktexklusivität um ein weiteres Jahr, beispielsweise dann, wenn das Produkt einen ungedeckten medizinischen Bedarf deckt. Die sogenannte Bolar-Regel bleibt jedoch bestehen, nach der bereits am Tage nach dem Ablauf eines Patentes andere Hersteller ein Generikum oder Biosimilar direkt verfügbar machen können.
Nach dem Abschluss der Trilogverhandlungen zum EU-Pharmapaket ziehen die deutschen Branchenverbände ein gemischtes Fazit. Während beide Seiten, der vfa und der BPI, die Modernisierungsschritte begrüßen, bewerten sie die neuen Schutzfristen und Anreizmechanismen unterschiedlich kritisch. Einig sind sie sich: Erst die Umsetzung in delegierten und durchführenden Rechtsakten entscheidet, ob die Reform Europas Innovationskraft stärkt oder schwächt.
Breite Zustimmung für Digitalisierung und beschleunigte Verfahren
Sowohl vfa als auch BPI sehen in der Reform wichtige Fortschritte. Die Einführung eines weniger regulierten Erprobungsraumes – der „Regulatory Sandbox“ –, elektronische Produktinformationen sowie effizientere Verfahren bei der EMA gelten als zentrale Modernisierungselemente. Der BPI betont, die Reform setze „wichtige Impulse“ und könne – bei kluger Umsetzung – „Innovation stärken und echten Mehrwert für Patienten schaffen“. BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen erklärt: „Neue Instrumente wie Regulatory Sandboxes, beschleunigte Zulassungsprozesse und die elektronische Produktinformation schaffen innovationsfreundliche Rahmenbedingungen.“
Auch der vfa erkennt die Modernisierung an und hebt die Bedeutung digitaler Regulierung hervor. Besonders stark gehen die Einschätzungen beim Thema Marktexklusivität und Datenexklusivität auseinander – oder zumindest unterschiedlich tief in die Kritik. Der vfa äußert deutliche Sorgen um die Attraktivität des europäischen Standorts. Vfa-Präsident Han Steutel sagt: „Der politische Wille zur Einigung ist nachvollziehbar, aber der Kompromiss schwächt Europas Innovationskraft.“ So sei nach Meinung des vfa der ursprüngliche Text aus den Vorverhandlungen stärker profiliert gewesen, und wäre durch Kompromissformeln zu unscharf geworden.
Kernpunkt ist für den vfa die Verkürzung der Marktexklusivität auf ein Jahr, die nur unter zusätzlichen Bedingungen auf zwei Jahre ausgeweitet werden kann. „Das macht alles komplizierter und erschwert Investitionsentscheidungen. Geboten wäre ein mutiges Signal wie eine Verlängerung der Schutzfristen“, sagt Steutel. „Das neue modulare Anreizsystem erhöht Komplexität und Risiko, weil viele Voraussetzungen außerhalb der Unternehmenssteuerung liegen.“
Der BPI sieht dieselben Problembereiche, formuliert sie jedoch stärker aus der Perspektive mittelständischer Hersteller. Der Verband warnt: „Änderungen bei Anreizen und Schutzfristen sowie neue Pflichten im Lieferengpassmanagement und beim Marktzugang können mittelständische Unternehmen erheblich belasten. Damit die Industrie langfristig innovationsfähig bleibt, brauchen Unternehmen Planungssicherheit – nicht zusätzliche Hürden für frühe Investitionsentscheidungen.“
Globaler Wettbewerb: vfa sieht Europa im Hintertreffen
Besonders kritisch bewertet der vfa die internationale Dimension. „Der EU-Kompromiss ist ein äußerst regelungsintensives System, das Anreize verkürzt und Unternehmen eher abschreckt als anzieht“, befürchtet der vfa-Präsident. Die USA setzten im Vergleich auf aktive Standortpolitik, attraktive Anreizprogramme und strategische industriepolitische Maßnahmen, die Forschung und klinische Studien anziehen. Aus Sicht des vfa verpasst Europa hier ein geopolitisch wichtiges Signal.
Der BPI hingegen fokussiert stärker auf die Chance, Versorgungssicherheit und europäische Wertschöpfung durch die Reform auszubauen: „Maßnahmen zur Stärkung von Forschung und Produktion können – richtig ausgestaltet – die Resilienz im globalen Wettbewerb erhöhen.“ Beide Verbände betonen, dass nun die entscheidende Phase bevorsteht: delegierte Rechtsakte, Leitlinien und nationale Umsetzungsakte werden definieren, wie praxistauglich die Reform tatsächlich sein wird. Der BPI sagt dazu: „Mit dem erzielten Kompromiss startet die Umsetzung – und damit die eigentliche Bewährungsprobe. Jetzt müssen Deutschland und Europa geschlossen handeln.“
International wird die Reform als ein deutlicher Schritt Europas angesehen, doch auch dort schwingen Zweifel an der Umsetzung und damit der kräftigen Belebung des Innovationsgeschehens im Arzneimittelsektor mit. Neue Chancen eröffnen sich jedenfalls, und vielleicht sind es eher andere Akteure als die in den genannten Verbänden vertretenen Unternehmen, die diese ergreifen werden.


Rentschler Biopharma SE
Dr. Anna Katharina Heide, ambidexIP
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